Mittwoch, 2. Januar 2013

Das Vaterunser



Im Vaterunser reden wir nicht vom Untergang der Welt, vom Tod, vom Jenseits.
Im Vaterunser, dem  Gebet, das die Welt umspannt, spricht Gott zu uns, sprechen wir mit Gott, solange wir leben.

Wir bitten, dass Gottes Wille heute und morgen in unserer Welt geschehen möge. Wir fragen, was Gottes Wille ist, was wir heute und morgen tun sollen.

Wir bitten, dass er uns heute das tägliche Brot gibt. Und wir wissen zugleich, dass viel menschliche Arbeit geschehen muss, damit wir zu essen und zu trinken haben. „Unser täglich Brot gib uns heute “ – für wen bitten wir, wenn wir um das tägliche Brot bitten?  Nur für uns selbst, unsere Familie, unser Land, für Europa, für unsere Freundinnen und  Bekannten in der weiten Welt? Müssen wir nicht solidarisch  sein mit allen Menschen auf Erden? Mit unserer Bitte um Brot für die Welt wissen wir zugleich, dass wir selbst etwas dafür tun müssen, damit Menschen nicht verhungern.

Im gleichen Satz, im gleichen Atemzug bitten wir um Vergebung unserer Schuld. Nicht nur für die Schuld, die in unserer Familie geschieht,  zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern . Wir bitten Gott auch, er möge unserer Kirche, unserem Volk, die Schuld an den Juden vergeben  Wir gehören zu den reichen Industrienationen, und wir bitten um Vergebung unserer Schuld an den armen Völkern. Und dass wir hier und heute bereit sind, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind.

Wir sagen nicht, dass wir gut sind und die anderen böse, wir gerecht, die anderen gottlos. Wir bitten Gott, dass er uns selbst, unsere Kirche, unser Volk  vom Bösen erlösen möge.
Alle Bitten des Vaterunsers beziehen sich auf "Gott im Diesseits."

Der Gott Israels



Menschen beten überall in der Welt das Vaterunser.  Sie haben aber den Gott, zu dem sie beten und den sie in allen Sprachen „Vater“  heißen, nie gesehen. Sie reden ihn an als „Vater im Himmel“  und können sich doch unter „Himmel“ keinen konkreten Ort vorstellen. Wie kommen sie  überhaupt dazu, ein solches Gebet zu sprechen? Sie  haben es von ihren  Vorfahren  in vielen Generationen übernommen. Seit zweitausend Jahren wird das Gebet von dem Gott, zu dem Christen „Vater“ sagen, überliefert. Die  Christen  haben aber ihr Beten zu Gott von den Juden übernommen – und die  Juden mögen vor dreitausend Jahren begonnen haben, ihren Gott, den Gott Israels, anzurufen , seine Geschichte mit ihnen und ihre Geschichte mit ihm weiter zu erzählen und schließlich in ihrer Heiligen Schrift, unserem  Alten Testament, aufzuschreiben.

Der Gott Israels ist ein Gott für das Diesseits. Er hat die Erde  für sein Volk und alle Völker geschaffen und  hat seinem Volk und allen Völkern  kundgetan, wie sie auf Erden leben sollen.

Der Gott Israels hat eine Geschichte begonnen, die heute noch weitergeht. Es ist eine Geschichte für die ganze Menschheit, aber sie nimmt ihren Anfang in dem kleinen Volk Israel. Die gläubigen Juden sagen darum, sie seien das „Erwählte Volk“, eine Aussage, die schon immer heftigen Anstoß unter den Völkern erregt hat.

Die hebräische Bibel lässt keinen Zweifel daran, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk zum Heil aller Völker führen wird.  Diese Verheißung ist, wie kein Mensch bestreiten kann, bis zum heutigen Tag nicht erfüllt. Die gläubigen Juden sagen: der Messias, der König der Endzeit, wird kommen und  den Völkern das Heil bringen.

Der Messias - gekreuzigt



Einige Männer und Frauen, die Jesus nachfolgten, erkannten, dass die  Worte und Taten dieses Mannes aus Nazareth höchst ungewöhnlich waren.

Er half den  Kranken, ging  auch Aussätzigen und Besessenen nicht aus dem Weg, beachtete und liebte die Kinder,  achtete auch die Frauen und schützte sie vor ihren Verächtern. Er überschritt  die Grenze zu Andersgläubigen, dehnte das Gebot der Nächstenliebe auf alle Menschen aus, selbst auf die Feinde der Gerechten. Er lehnte die in der ganzen Welt praktizierte Vergeltung mit gleichen Waffen ab und ersetzte sie durch erstaunliche Wege der Verständigung. Er aß und trank mit Geldmenschen, die sich auf Kosten der Armen bereichert hatten, ohne gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.

Er ist der große Liebende, der für alle stirbt, „der Gott mit dem Antlitz des Menschen“ (Kurt Marti).

Alle, die ihm damals zuerst nachfolgten, waren Juden und Jüdinnen und kannten die alte Verheißung, dass der Messias kommen und der Welt den Frieden bringen werde. Einer von ihnen, es heißt, es sei Petrus gewesen, sagte zuerst, dieser sei der Messias, andere, eine kleine Schar von Menschen, nahmen das Bekenntnis zu Jesus, dem Messias an. Es wurde zuerst unter gläubigen Juden immer weiter verbreitet.

Gott soll den Mann aus dem kleinen Volk der Juden erwählt und zum Retter der Welt bestimmt haben? Eine wahrhaft unglaubliche Behauptung. Sie kann an eine andere unglaubliche Behauptung aus der hebräischen Bibel erinnern: dass Gott das kleine, neben den Großmächten  völlig unbedeutende Volk der Juden, dazu erwählt habe, ein Segen für die ganze Erde zu sein.

Nicht alle Zeitgenossen waren vom Weg des Mannes aus Nazareth tief beeindruckt. Viele  verfolgten ihn mit Argwohn. Es waren vor allem führende Juden, die ihn für höchst gefährlich hielten und schließlich dafür sorgten, dass der römische Statthalter widerwillig die Kreuzigung dieses „Königs der Juden“  befahl.

Viele Juden erwarteten, dass der kommende Messias seine Feinde vernichtend schlagen und so sein Reich aufrichten werde. Und nun wurde dieser Jesus von seinen Feinden ans Kreuz geschlagen.

Wie konnte ein Mann, der für den Messias gehalten wurde, ein solches Ende nehmen? Es war für alle, die an ihn glaubten, der tiefste Schock, die größte Enttäuschung. Wie konnte ein Gekreuzigter der Messias sein?

Der Messias - auferstanden von den Toten



 Die Botschaft von der Auferstehung Jesu am dritten Tag nach seiner Kreuzigung  stieß selbst bei den engsten Jüngern am Anfang auf ungläubiges Staunen. Inzwischen ist sie die entscheidende Quelle der Hoffnung für die christliche Kirche auf Erden geworden. Diese Auferstehung ist etwas ganz anderes als der Bericht von Toten, die zum Leben erweckt wurden, um auf kurz oder lang doch wieder zu sterben. Das, was fromme Menschen für das  Jenseits erwarten, ist durch die Auferstehung Jesu im Diesseits geschehen.

Jesus ist der Messias, der von Gott erwählte Retter der Völker. Mit seiner Kreuzigung schien dies Bekenntnis  als törichte Behauptung endgültig widerlegt zu sein. Durch seine Auferstehung ist seine Sendung in bisher unvorstellbarer  Weise bestätigt und bekräftigt worden.

Er lebt, und sein Werk zur Rettung der Völker wird weitergehen.

Christinnen und  Christen erfahren seine tröstliche Gegenwart und vertrauen mit Recht darauf, dass sie durch sein Sterben erlöst sind, dass ihnen alle Schuld vergeben ist.  Sie hoffen mit Recht auf das ewige Leben.

Aber das Werk des auferstandenen Messias geht über die Befreiung des einzelnen Menschen weit hinaus, es hat eine politische und globale  Dimension. Er ist gekommen, um den Völkern auf Erden den Frieden zu bringen, um die Menschheit vor dem drohenden Untergang zu retten.

Wer den Lauf der Welt realistisch betrachtet, das Auf und Ab der Weltmächte, die endlose Reihe von kriegerischen Konflikten, der kann leicht alle Hoffnung auf eine wirkliche Wende in der Geschichte der Völker verlieren und sich der „resignativen Reife“ (Arnold Retzer in SWR 2 Wissen, Aula 1.1. 2013)  ergeben. Viele Frauen und Männer dagegen, die von der Osterbotschaft ergriffen sind, halten trotz aller Zweifel und Anfechtungen an der großen Hoffnung fest – nicht  nur auf jene, sondern auch für diese Welt.  

Die christliche Kirche



Jesus aus Nazareth, der verheißene Messias, gekreuzigt, auferstanden von den Toten, Retter der Welt, Licht der Völker. Und was sonst noch?

Im Römischen Reich sind  unaufhaltsam christliche Gemeinden entstanden. Warum? Die Menschen müssen in der Botschaft von Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, etwas ganz Neues erfahren haben, eine gute Nachricht, Befreiung, Trost und Heil.  Dennoch hat es von Anfang an auch Streit in den Gemeinden gegeben, Richtungskämpfe, schwärmerischen Überschwang, moralische Verfehlungen, Trennung und Abspaltung.

Mit der Ausbreitung der  christlichen Kirche auf Erden beginnt  auch die wechselvolle zweitausendjährige Kirchengeschichte.  Christen werden verfolgt,  unterdrückt und getötet. Christen verfolgen, unterdrücken und verbrennen Andersgläubige und Andersdenkende. Hier leben Gemeinden in bitterster Armut, dort glänzt die reiche Kirche in ihrer Pracht. Hier predigt die Kirche den Frieden, dort  segnet sie die Waffen.

Die dunklen, ja finsteren Zeiten der Kirchengeschichte können nicht geleugnet werden.  Auf der anderen Seite hat die christliche Kirche mit ihren Gottesdiensten , Gebeten, Predigten und Liedern auch Gemeinschaft unter vielen Menschen gestiftet, Werke der Liebe und Barmheuzigkeit getan, Hungrie gesättigt, Kranke geheilt,  Verzweifelten neue Hoffnung gegeben, Schulen gegründet, Bildung ermöglicht.Verhältgnisse geordnet.  .

Die Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen, und dass sie einander lieben sollen, wie Gott sie liebt, wird zum Prüfstein für  sie selbst.